Anarchistischer Spiele-Kreis

- Frühere Ansätze -

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Frühere Ansätze für disruptive Spiele, Beispiele und ihr subversives Potential

In unterschiedlicher Form wurden auch früher bereits bewusst politisch alternative Spiele entwickelt und gespielt. Die bekanntesten Ansätze für linke alternative Spiele lassen sich in drei Gruppen aufteilen, wobei es durchaus auch Überschneidungen gibt.


1) Linke kommunistische, anarchistische, antirassistische, feministische Spiele, die von den Spielstrukturen im wesentlichen bürgerliche Spielstrukturen übernehmen und nicht selten sogar ein bekanntes Spiel variieren. Die Spiele dienen teils als Mittel der politischen Aufklärung und/oder als Aufruf zum Widerstand, teils auch als Mittel des Ausprobierens von Widerstandsstrategien. Vermittelt wird dies wesentlich über die Bezeichnungen, Spielparteien und die beschrieben Handlungsabläufe.

Beispiele:

- Strike: Ein Gesellschaftsspiel, das die Familie Marx gespielt hat - das Streikauseinandersetzungen mit der Kapitalseite simuliert.

- Sufragetto: Ein Brettspiel, das die Sufragettenbewegung kreiert hat - in dem die Sufragetten sich gegen die Polizei durchsetzen müssen.

- Provopoli: Eine Monopolyabwandlung aus der Bewegungszeit der 1970er/80er Jahre - kurzzeitig verboten und dann als 'Nicht Jugendfrei' klassifiziert.

- Bloc by Bloc: "A tabletop game that simulates the urban rebellions." [..] "Bloc by Bloc creates a magic circle in which players can explore stories of contemporary revolt and resistance. It's a response and a challenge to the ubiquitous narratives of colonization, industrialization, statecraft, authoritarian hero-worship, and chauvinist violence that dominate much of tabletop gaming."

u.a.

Zweifelsohne haben diese Spiele ein aufklärerisches Potential über politischer Herrschaftszusammenhänge und Widerstandsmöglichkeiten. Außerdem ist es einfach lustig sie in entsprechenden Gruppen zu spielen und bekannte Spiele einmal anarchisch umzudeuten. Die strukturellen Spielabläufe reproduzieren aber zu nicht unerheblichen Teilen bürgerliche Subjektkonstrukte und Interaktionsweisen (Survival of the fittest / Konkurrenz zumindest von Gruppen / u.a.).

Linkhinweis:

The Secret History of Leftist Board Games - https://truthout.org/articles/the-secret-history-of-leftist-board-games/


2) Körpererfahrungsspiele - die 'New Games'

Diese in Teilen der pazifistischen Bewegung der 70er Jahre entwickelten Spiele werden häufig zuerst genannt, wenn es um alternative Spiele geht. Im Gegensatz zu den in vielen Texten über diese Spiele geäußerten Ansichten, halte ich sie für zutiefst reaktionär und im Kern für Teil einer modernisierten Gewaltpraxis. Ich nenne sie hier als Negativbeispiel um den Ansatz der anarchistischen Spiele deutlich davon abzugrenzen.

Beispiel Riesenraupe:

Alle legen sich nebeneinander auf den Bauch, so dicht wie möglich. Die Bewegung beginnt am Schwanzende; die äußerste Spieler*in rollt sich auf ihre/seine Nachbar*in und weiter über die ganze Körperreihe, bis sie/er vorne wieder auf dem Bauch liegt. Inzwischen hat sich schon die nächste in Bewegung gesetzt, und so eine/einer nach der anderen. Zwei Riesenraupen können z.B. einen Wettkampf durchführen.

Die New Games dienen dazu durch Körperspiele den Umgang mit Körperdistanz und körperlicher Nähe zu verändern und die körperliche Selbstwahrnehmung und Kontrolle zu stärken. Ein Ausgangspunkt der New Games ist die Behauptung, dass Aggression wesentlich auf der Unfähigkeit zum Umgang mit Aggression in körperlichen Nahverhältnissen beruht. New Games wurden häufig mit großen Gruppen im Rahmen eines Happenings gespielt. In dieser Art alternativer Bootcamps wurde ein neues Körperverhalten durchgesetzt. Die Teilnehmer*innen lernen eine oberflächliche 'körperliche' Nähe zuzulassen und souverän damit umzugehen. Nicht zufällig gelten New Games bis heute im Silicon Valley als Schulungsform zum 'Empowerment' der Gruppenzusammenarbeit für Mitarbeiter*innen.

Bei genauerem Hinschauen wird schnell deutlich, dass diese Spiele gerade nicht dazu angetan einen Umgang der Menschen miteinander zu fördern, der Menschen das Recht auf Selbstbestimmung lässt und z.B. den Respekt vor unterschiedlichen Grenzziehungen bei körperlicher Nähe und Distanz fördert. Vielmehr erinnert vieles an Trainingseinheiten zur habituellen Gleichschaltung, die alle, die sich diesen Spielen - 'es ist doch nur ein Spiel, nun lass das doch mal zu' - verweigern, langfristig ausschließt. Das besonders problematische daran ist, dass in diesem Fall gerade simulierte Nähe zum Mittel der Entfremdung der Menschen von sich selbst wird, falls sie gegen ihre eigenes Wollen am Spiel auf Grund des Gruppendrucks teilnehmen, bzw. zum Mittel der Exklusion, falls sie die Teilnahme verweigern. Insbesondere Menschen, deren Körpergrenzen klassisch immer in Frage gestellt wurden/werden - dies trifft sowohl auf Menschen mit massiver Gewalterfahrung zu, als auch auf Menschen, deren körperliche Integrität auf Grund gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse, z.B. Sexismus, nicht respektiert wird -, werden mit vielen dieser Spiele Probleme haben, sie als Eronmächtigung erleben. Es Wird ja gerade nicht der Respekt der Grenzen vermittelt, sondern ihre Verletzung. Zum Teil werden diese Spiele für Menschen mit Gewalterfahrung auch mehr als Spiel sein - ernst nehmen soll das ja aber keiner und gar wirkliche Nähe einfordern - im Gegenteil, den Menschen wird wirkliche Nähe geradezu abtrainiert, da sie ja in der bedeutungslosen Nähe verschwimmt - das souveräne Zulassenkönnen von Grenzverletzungen ist ein klassischer Täterhabitus. Im Kontext realer gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse sind diese Spiele Gewalt und verschärfen die habituelle Exklusion der Opfer von Gewalt.


3) Strukturexperimente

Neben den konkreten politischen Ansätzen für alternative Spiele stehen bürgerliche Strukturexperimente. Zum Teil sind diese radikaler als die politisch bewusst konzipierten linken Spiele, z.B. das Spiel Lemma, ein Metaspiel, das wesentlich darin besteht Spielregeln zu erfinden. Experimentelle Spiele sind aber auch hilfreich um Ideen für abstrakte Spiele zu bekommen, jenseits des Üblichen, ein gutes Beispiel für Brettspielphantasien ist Kaliko - ein Spiel in dem es darum geht lange Pfade zu Schaffen -. Anarchist*innen können hier spannende Ansätze für anarchistische Spielentwicklung finden.

Und darüber hinaus geht dann teils noch der Bereich der Kunst, Cadavre Equisite, das Spiel der Surrealist*innen, liefert hier ein spannendes Beispiel. Das Spiel wird mit Stiften und einem Stück Papier gespielt - auf einem mehrfach gefalteten Papier wird unabhängig von einander z.B. eine Figur gezeichnet, die jeweiligen Zeichner*innen wissen nur welchen Teil der Figur sie zeichnen müssen, aber nicht, was die anderen zeichnen/gezeichnet haben -. Das Spiel funktioniert auch mit Sätzen oder Erzählungen.

Linkhinweise:

Non-Predatory Games - http://www.thegamesjournal.com/articles/Nonpredatory.shtml
Cadavre Exquis - https://de.wikipedia.org/wiki/Cadavre_Exquis


Texte


Die Texte - als PDF-Datei - zum Download.


Kontakt unter - 3.Jahrtausend@posteo.de -. Bitte "Anarchistische Spiele" in Betreff schreiben, da E-Mails sonst als Spam aussortiert werden.

























22.12.2018



Frühere Ansätze für disruptive Spiele, Beispiele und ihr subversives Potential - Anarchistischer Spielekreis. Stichworte: Disruptive Spiele, Cadavre Equisite, Lemma, Bloc by Bloc, Strike, Provopoli, Spiele, Gesellschaftsspiel, Anarchie, Gruppen, Anarchismus, Kooperation, Konkurrenzkritik, anarchistische Initiative, AnarchistInnen, Anarchisten





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